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(Januar 2021)
Es gibt Dinge, über die spricht man nicht so gerne. Makel, die einem anhaften, behält man lieber für sich, die gehen niemanden etwas an. Euch allen vertraue ich aber, denn wir kennen uns ja schon ein bisschen. Und deshalb erzähle ich Euch jetzt etwas, natürlich nur hinter vorgehaltener Hand (und bitte nicht weitersagen!), was mir nicht unbedingt Pluspunkte einbringen wird: Ich neige zur Unpünktlichkeit.
NEIN! Bitte rollt jetzt nicht die Augen und klappt Euer Lesegerät zu! Hört mir zu! Lasst es mich Euch erklären! Es ist nicht so, wie es scheint!
Unpünktlichkeit ist sehr unhöflich. Ich weiss das. Jede Minute zu spät ist eine Minute zu viel. Da gibt es nichts zu verhandeln. Ein doofes Sprichwort sagt: Man kommt immer noch früh genug zu spät. Dieses geflügelte Wort habe ich anscheinend abonniert. Mit fliegenden Haaren und auf schnellen Sohlen komme ich stets angeschossen. Die Frisur ist dann meistens im Eimer, denn dem scharfen Fahrtwind, der mir entgegenweht, ist kein Haarspray gewachsen. Der allerletzte Drücker ist meiner. Dafür ist meine Kondition 1A. Denn der Sprint, den ich regelmässig auf den letzten Metern hinlegen muss, hat mich in einen optimalen Trainingszustand gebracht und lässt mich Usain Bolts Rekord gefährlich nahe kommen. Zur Goldmedaille reicht es aber bedauerlicherweise niemals, da ich dank meines totalen Fehlstarts trotz Endspurt natürlich als Letzte ins Ziel einlaufe.
Zu meiner Verteidigung möchte ich aber hervorheben, dass der gute Wille immer da ist, und der zählt bekanntlich ja auch ein bisschen. Stets sehr frühzeitig beginne ich, mein Vorhaben pflichtbewusst zu timen und einzurichten. Ich möchte gut vorbereitet und gut aussehend erscheinen, sei es bei beruflichen, bei privaten oder auch freizeitlichen Terminen. Aber Achtung - gemeine Tücke: Die letzten fünf Minuten im Countdown, auf die es wie bei einem Wettkampf sehr hart ankommt, sind bei mir komischerweise spätestens nach einer Minute vorbei. Die Uhr spielt regelmässig gegen mich. Eigenartig...
Schuld an der Misere ist auch mein ausgeprägtes Talent zum Multitasking. Jeder Mann könnte sich hiervon ein paar dicke Scheiben abschneiden. Während meines Pünktlichkeitsversuchs begegnen mir permanent irgendwelche Dinge, die sofort nebenher noch erledigt oder aufgeräumt werden müssen. Auch ein zeitlich ungünstig eingehendes Telefonat kann ich kaum abwehren. Einem läutenden Telefon konnte ich noch nie widerstehen. Und nur kurz telefonieren hat bei mir auch noch nie funktioniert. Selbst ein für mich gefühlt äusserst kurzes und abgewürgtes Gespräch dauert immer viel länger als gedacht.
Alle guten Vorsätze haben bei mir bisher leider zu keiner Besserung geführt. Meistens erwische ich den Zug zwar noch und muss nicht den Rücklichtern hinterher gucken, und einen Flug habe ich erst ein Mal in meinem Leben verpasst. Trotzdem hadere und schimpfe ich wirklich sehr mit mir, das dürft Ihr mir glauben. Nützt leider alles nichts. Aber diesen Stress mit permanent schlechtem Gewissen und verhunzter Frisur hätte ich wirklich sehr gerne abgebaut.
Ich befürchte heute schon, dass ich sogar an meiner eigenen Beerdigung die Letzte sein werde. Meine Angehörigen und engen Freunde wissen bereits, dass sie ruhig schon einmal ohne mich anfangen dürfen. Ganz knapp und möglichst unauffällig werde ich vermutlich während des Orgelspiels durch den Seiteneingang hineingehuscht kommen. Ich werde mich bemühen, leise zu sein und nicht allzu sehr zu stören. Zum Glück habe ich dann aber ganz vorne einen reservierten Platz, den mir in diesem Moment vermutlich keiner freiwillig streitig machen wird.
Die Letzten werden die Ersten sein - so heisst es sogar in der Bibel. Das muss dann doch stimmen, oder? Ich warte also auf den Moment, in dem ich mich endlich einmal in vorderster Position befinden werde.
Es wird wohl ein lebenslanger Kampf bleiben, den ich mit mir selber ausfechten muss. Ich werde mich weiterhin um Pünktlichkeit bemühen, vermutlich erfolglos, und meine Frisur halte ich am besten pflegeleicht im gewollt strubbeligen, sogenannten ‚Undone‘-Look.
Sei‘s drum. Am besten, Ihr kommt gar nicht erst auf die Idee, Euch mit mir zu verabreden. Zufällige Begegnungen sind am besten geeignet, denn dann stehe ich unerwartet, aber punktgenau auf der Matte. Fast zu schön, um wahr zu sein.
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