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(Mai 2022)
Wir leben in modernen Zeiten. Ich möchte sagen, zum Glück. Auch wenn natürlich nicht alles, was sich in den letzten 100 Jahren entwickelt hat, nur zu unserem Vorteil ist. Jeder Fortschritt birgt unter Umständen auch Gefahren. Das Dynamit, die Atomspaltung, das kriminelle Internet seien nur als Beispiel genannt.
Als relativ harmlos empfinde ich die Entwicklung des Fernsehens. Ich erinnere mich an das erste tragbare Schwarz-Weiss-Gerät, welches meine Eltern anschafften, als ich ca. 8 Jahre alt war. (Heute haben die allermeisten Kinder in diesem Alter bereits eine erhebliche Digitalkompetenz. Dieses Wort war zu meinen jungen Jahren noch gar nicht erfunden!)
Es gab damals zwei oder drei Programme. Die Antenne musste exakt ausgerichtet sein, um ein scharfes Bild mit gutem Ton empfangen zu können. Ein 24-Stunden-Angebot bestand nicht. Der berühmte Sendeschluss, auch genannt „das grosse Flimmern“ setzte dem Fernsehabend irgendwann ein ultimatives Ende.
Damals gab es auch den schönen Beruf der Fernsehansagerin. Adrett zurechtgemacht führte sie charmant durch das Programm und wurde hierdurch äusserst prominent. Ihr haftete etwas Gediegenes an.
Man musste pünktlich vor dem Fernsehapparat sitzen, um die Nachrichten, die Spielshow oder den Film von Anfang an schauen zu können. Zur Pipipause schnell mal das Programm stoppen, um nichts zu verpassen, ging nicht. Jeder Gang zum WC oder Kühlschrank bedeutete unweigerlich TV- Verlust. Sehr unschön war auch die Tatsache, zum Umschalten aus dem gemütlichen Sessel aufstehen zu müssen. Die Fernbedienung gab es noch nicht, also auch nicht den berühmten Kampf um dieselbe. Zappen - heute eine äusserst verbreitete (männliche) TV- Eigenheit - war damals also unbekannt. Es war vermutlich etwas friedlicher in den Wohnzimmern.
Dann kam das Farbfernsehen. Für mich war das immer das Highlight, wenn ich meinen Grossvater besuchte. Er war einer der ersten in meinem Dunstkreis, der solch eine tolle Color-Flimmerkiste besass. Die Geräte waren sehr teuer und nicht selbstverständlich in jedem Haushalt vorhanden.
Mit dem Privatfernsehen bekam dann auch die Subkultur in Form von Schmuddelsendungen mit viel nackter Haut oder reisserischen Talkshows mit primitivem Anstrich eine erste Chance, sich in den guten Stuben auszubreiten. Zum Glück hatten auch die modernen Geräte weiterhin einen Aus-Knopf, so dass man sich diesen Schund nicht zwingend antun musste. Und ebenfalls neu kamen die lästigen Werbeunterbrechungen auf, mit denen sich die Sender finanzieren. Diese endlosen Spots mussten wir ertragen, wenn wir den Film bis zum Ende schauen wollten. Oder alternativ konnte jetzt eine ausführliche WC- Sitzung eingelegt werden. Ein kleiner Vorteil damals. Der Fernsehabend konnte hierdurch aber sehr lang werden. Ein kleiner Nachteil damals.
Heute schaue ich dann fern, wenn es mir zeitlich gelegen kommt. Wann die Tagesschau beginnt, ist mir einerlei. Dank der TV- Box wähle ich aus und spule vor und zurück, so wie es für mich passt. Werbeunterbrechungen nerven mich nicht mehr, denn selten bin ich „Live“ dabei, sondern habe mein ganz individuelles, unabhängiges Fernsehprogramm.
Neulich schauten mein Mann und ich das Eröffnungskonzert der neuen Tonhalle Zürich. Gustav Mahlers Sinfonie zog sich hin mit vielen stillen Passagen. Mein Mann bevorzugt aber Musik mit viel Rumsbumstätärä. „Ach, das dauert mir irgendwie zu lange“. Flugs vorgespult, landete er dann beim nächsten fortissimo mit vielen Blechbläsern und Pauken. Der Dirigent wäre tödlich beleidigt gewesen, hätte er das mitbekommen. Ich protestierte natürlich auch, hatte aber gegen die lauten Instrumente sowie die Fernbedienung keine Chance.
Manchmal würde ich gerne im Leben vor- oder zurückspulen. Zugegeben - das würde durchaus die Spannung nehmen. So wie im Krimi, wenn ich vorzeitig schon einmal gucke, wer denn jetzt der Mörder ist. Und tolle Erlebnisse sind - nochmals zurückgespult und aufgewärmt - vielleicht nicht mehr ganz so schön, wie sie es in einmaliger Form waren und in Erinnerung sind. Trotzdem hätte ich gerne schon so manche Sequenz verkürzt und in der Mediathek der schlechten Filme abgelegt.
Leider sind wir nicht der alleinige Programmdirektor unseres Lebens. Stets live und in Farbe sind wir auf Sendung, müssen auch mal ein schlechtes Programm ertragen und hoffen auf Happy End. Zum Glück gibts dann auch plötzlich wieder Kuschelkino. Aber wehe, irgendjemand von Euch zappt jetzt rum und ich lande hierdurch im falschen Sender! Dann beginnt der Kampf! Die Fernbedienung ist meine!!!
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