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(Dezember 2022)
Eigentlich bin ich literarisch betrachtet gerne im erheiternden Unterhaltungssektor unterwegs. Heute aber schreibe ich mal über ein Thema, welches nicht wirklich gesellschaftsfähig und erst recht kein Partyknüller ist. Mein Thema heute ist die Migräne.
Als selber Betroffene weiss ich, wie sich das anfühlt. Wir MigränikerInnen spüren nicht nur den Schmerz, die Übelkeit sowie die Verzweiflung, sondern besonders auch das Unverständnis von denjenigen, die zu ihrem grossen Glück von diesem Unglück verschont worden sind.
Nicht jede/r Migränegeplagte outet sich daher mit dieser Krankheit - ja, wir MigränikerInnen sind in gewisser Weise hirnkrank - und entsprechend hoch dürfte auch die Dunkelziffer sein.
Migräne - das ist ein zu Unrecht sehr missbrauchter Begriff. Er suggeriert die Unlust der frigiden Frau auf Sex sowie die Enttäuschung des/ der zurückgewiesenen Begattungswilligen "..... ach Schatz, ich hab’ heute Migräne". Ganz so einfach ist es aber nicht.
Grob zusammengefasst ist die Migräne eine Funktionsstörung des Gehirns mit Überempfindlichkeit in einem Hirnareal. Die Schmerzregulation ist hierdurch fehlgeleitet. Gleichzeitig reagiert sehr häufig das vegetative Nervensystem mit Übelkeit, Schwitzen, Erbrechen und Durchfall.
Nicht selten treten kognitive Beeinträchtigungen, Seh- und Sprechstörungen bis hin zu Lähmungserscheinungen auf. Das nennt man Aura. (Nicht zu verwechseln mit der Aura, die manche Menschen umgibt und ihnen eine besonders zauberhafte Ausstrahlung verleiht. Zauberhaft ist hierbei rein gar nichts).
Klingt dramatisch, ist aber leider so: Der Wunsch nach dem Tod ist in den Momenten der x-ten Migräneattacke unter Umständen recht nah, obwohl wir ja eigentlich mitten im Leben stehen. Die Wiederauferstehung nach diesem ‚Beinahe-aber-zum-Glück-doch-nicht-Tod‘ fühlt sich aber besonders schön an. Das können wir als frohe Zukunftsaussicht allen noch Lebenden schon mal mitteilen.
Meinem Sarg muss unbedingt eine 20er Packung der höherdosierten Tabletten beigegeben werden, bevor ich dann eines Tages hübsch kremiert ins Jenseits staube. Dieser Vorrat wird hoffentlich reichen bis in alle Ewigkeit.
Die Auslöser der Migräne sind vielfältig. Das Wetter mit all seinen Launen, Stress, Zeitdruck, Hormone (Frauen sind entsprechend deutlich häufiger betroffen als Männer), zu viel Lärm und Menschen auf einmal, Alkohol, Zeitverschiebungen bei Reisen, gestörter Schlafrhythmus….die Auswahl ist riesig und die auslösenden Reize sind individuell von Fall zu Fall verschieden.
Nicht jeden Reiz können wir MigränikerInnen selber steuern. Meinen Alkoholkonsum oder meine Schlafhygiene habe ich selber in der Hand, aufs Wetter oder die Hormone habe ich keinen Einfluss. Auch gesellschaftliche Reize kann ich nur bedingt steuern, da ich nicht als Eremit in einer einsamen Höhle leben möchte.
Die goldene Regel für MigränikerInnen lautet also: Eiserne Disziplin. Damit schmeckt das Leben aber so ähnlich, als würden wir ausschliesslich lauwarmem Haferschleim essen. Manchmal muss es verdammt noch mal die Chilischote sein, die dem Leben Pfeffer gibt. Und die ist dann leider häufig unverträglich.
Einfach Aspirin oder Ibuprofen eingeworfen, hilft bei waschechten MigränikerInnen meistens nicht. Auch eine ganze Packung hiervon ramponiert höchstens den Magen, dem es sowieso schon übel ergeht.
Zum Glück hat die Forschung in den letzten ca. 25 Jahren grosse Fortschritte in Akutbehandlung sowie Prophylaxe gemacht. Korrekt angewendet, helfen diese Mittel meistens recht gut oder lindern zumindest, sind leider aber auch sehr teuer.
Wie die Generationen vor uns ohne diese Medikamente ihre Migräne überleben konnten, ist mir ein Rätsel. Ich ziehe demütig meinen Hut vor all diesen tapferen Menschen. Schliesslich möchte und muss man ja im Alltag bestehen können.
Ach, und was den Sex betrifft: Ja, tatsächlich ist während einer Migräne die Lust gleich null. Aber zum Trost sei gesagt, dass wir irgendwann wieder glücklich ins Leben zurückkehren, mit allem, was so dazugehört.
Ich winde uns MigränikerInnen heute ein ganz besonderes Kränzchen. Wir sind wirklich eine tolle und lebenstüchtige Truppe, und wir halten ganz fest zusammen!
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