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(Mai 2022)
Kürzlich erzählte mir eine Freundin von einem Achtsamkeitskurs, den sie belegt hatte. Dort lernt man in ganz kleinen Schritten, wie Achtsamkeit funktioniert. Dieser Begriff hat sich in den letzten Jahren in unserem Sprachgebrauch stark etabliert. An der alltäglichen Umsetzung hapert es aber meistens gewaltig, was sich auch an den gut besuchten Kursen erkennen lässt.
Hier übt man im ganz Kleinen, zum Beispiel anhand einer Rosine, was Achtsamkeit bedeutet. Es handelt sich hierbei nicht nur um eine verschrumpelte Weinbeere, die ruckzuck zerbissen und heruntergeschluckt wird, im besten Fall sogar in einem leckeren Kaiserschmarrn verpackt. Nein! Die Rosine ist eine eigenständige, kleine Frucht, die es kennenzulernen, ja sogar zu erfahren gilt.
Zunächst feiert man ein visuelles und haptisches Fest, d.h. das getrocknete Beerchen wird nach eingehender Rundherumbetrachtung aufmerksam befühlt. Jede Furche, Falte und Erhebung soll intensiv wahrgenommen und begriffen werden - im wahrsten Sinne des Wortes. Bevor auf die Beere gebissen werden darf, muss sie als nächstes ausgiebig auf der Zunge verweilen. Dort sollen Geschmack und Form bis zur Vollendung erspürt werden. Dann erst darf man mit viel Bedacht kauen und in einem feierlichen, krönenden Moment das Früchtchen herunterschlucken. Den Weg durchs Innere des Körpers wird die Rosine nun alleine gehen, und auch im Darm findet sie sich vermutlich ohne achtsame Begleitung zurecht. Möglicherweise wird sie ganz zum Schluss ihres Weges beim Verlassen des Körpers durch die Kursteilnehmer nochmals herzlich verabschiedet, das weiss ich aber nicht so genau. So weitgehend reicht die Schilderung meiner Freundin nicht.
Unter den 10 Teilnehmenden waren bezeichnenderweise nur zwei Männer. Aha! Die Achtsamkeit scheint also tendenziell eher weiblich zu sein. Dann ist folgendes Erlebnis eigentlich gar nicht so erstaunlich:
An einem schönen Frühlingstag sass ich mit meinem Mann auf einer Bank im Frischluftbereich einer Sauna. Ich hörte die Vögelchen zwitschern, roch die lauen Lüftchen, liess mir die Sonne ins Gesicht scheinen und öffnete mein Herz für aufkommende Frühlingsgefühle. Mein Mann neben mir checkte völlig unpassend die aktuellen Tagesnachrichten sowie frischen Mails auf seinem Handy. Das störte mich. Ich machte ihn auf die schönen Düfte und Geräusche um uns herum aufmerksam und startete direkt ein kleines Achtsamkeitstraining für ihn:
Spür deine Füsse ganzflächig auf dem Boden sowie die Hände auf den Schenkeln. Nimm wahr, wie du auf beiden Sitzhöckern und mit dem Rücken Kontakt zur Bank hast, wie dein Körper von der Umgebung fest getragen wird. Atme tief in den Bauch die frische Luft hinein, lass sie von den Nasenflügeln durch den Körper hindurch bis in die Finger- und Zehenspitzen strömen.
Ich machte es ihm vor, und er schaute mir sehr aufmerksam zu.
„Hinter Dir ist Vogelkacke“, entfuhr es ihm. Das war zwar nett gemeint, ich war mir aber nicht ganz sicher, ob er die wirkliche Bedeutung der Achtsamkeit in ihrer ganzen Tiefe verstanden hatte. Vogel- oder Hundedreck zu entdecken, gehört meines Wissens nicht wirklich primär dazu. Und schon flitzte er los zu seinem nächsten Schwitzgang. Die Saunatür knallte.
Ich spürte tief in mich hinein und reflektierte, ob es wohl einen Fleckenteufel gegen Vogelkacke gibt und überprüfte dann meinen Bademantel. Zum Glück war er sauber geblieben.
Ich werde meine Freundin mal fragen, welches Trainingsobjekt sie in ihrem Kurs neben der Rosine noch kennengelernt hat. Vielleicht war ja irgendetwas Brauchbares dabei, was speziell auch bei Männern wirkt. Ich bin manchmal wirklich rat- und sprachlos, welche Resistenzen das Y-Chromosom doch auslösen kann.
Sei‘s drum. JedeR muss auf die eigene Art und Weise glücklich werden. Der Weg ist unser aller Ziel. Ob hierbei nun der Achtsamkeitskurs oder Turbo-Saunagang absolviert wird, ist schlussendlich egal. Solange der Mensch zufrieden und freundlich durchs Leben geht und Vogelkacke nicht mehr als einen Fliegenschiss wert ist, ist doch alles bestens.
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