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(April 2023)
Ich hatte vor längerer Zeit eine sehr kluge Haushaltshilfe. Auch wenn sie der deutschen Sprache nur bedingt mächtig war, hatte sie einen wesentlichen Satz ausgesprochen, als es darum ging, dass das Leben nicht immer nur leicht ist, sondern auch so manche Tücke bereit hält. Ganz aus ihrem beruflichen Ethos heraus, mit dem Staubmagneten in der Hand, sagte sie: „Ja ja, Läbbe ist staubig!“
Das gilt nicht nur schmutzspezifisch für Bad und Schlafzimmer, sondern generell für das Leben mit all seinen Herausforderungen. Diese Worte sind mittlerweile ein geflügelter Satz bei meiner Familie und mir. Und dieser Satz passt wirklich mindestens einmal pro Tag!
Und zusätzlich zu allen sonstigen staubigen Schikanen ist das Leben auch noch teuer!
Meinen Lebensunterhalt kann ich leider nicht ausschliesslich mit meiner Schreiberei bestreiten. Daher bin ich noch anderweitig tätig.
Das ist aber aber gar nicht schlimm, denn ich habe einen interessanten Job im Gesundheitswesen. In meinem Alltag kommen viele Menschen vorbei. Besser gesagt: Gottes bunter Tiergarten gibt sich bei mir ein Stelldichein. Das ist sogar noch schöner als im Zoo.
Ein Kunde bleibt mir in besonderer Erinnerung. Er ist Landwirt und hält Milchkühe.
Bei seinem ersten Besuch bei mir blickte er auf mein Namensschild:
„Oh“, meinte er, „Sie haben den gleichen Namen wie meine allerbeste Kuh im Stall - die heisst nämlich auch Coco“. Ich wurde ein bisschen verlegen und errötete sogleich bei so viel Anerkennung und fühlte mich sofort seiner Kuh äusserst verbunden.
Die Kuh Coco gab, so erfuhr ich, die meiste Milch und warf brav und treu jedes Jahr ein neues Kälbchen. Mein Kunde fühlte sich seinem ergiebigen Nutztier auch emotional sehr verbunden. Er mochte sie unter seinen vielen Milchkühen ganz besonders gerne.
Auch ich fand sofort einen guten Draht zu ihm. Ob’s nur am gemeinsamen Namen mit Kuh Coco lag, sei einmal dahingestellt.
Eines Tages kam er nach längerer Zeit wieder. Natürlich erkundigte ich mich erst nach seinem und dann nach dem Wohlergehen seiner Lieblingskuh Coco.
„Ach, wissen Sie, es ist sehr traurig, aber die Coco ist schon länger im Kuhhimmel. Ich musste sie schlachten lassen, denn sie wollte trotz vieler Anstrengungen einfach kein Kälbchen mehr werfen. Damit sind natürlich dann auch ihre Milchhähne eingetrocknet. So eine Kuh wirft dann keinen Profit mehr ab. Aber traurig war ich schon. Die Coco war eine Gute, eine über lange Jahre ganz Treue. Ein ehrlicher Charakter.“
Meinem Kunden wurden die Augen ein bisschen feucht. Mir auch. Die arme Kuh. Ihr Schicksal ging mir unter das Fell...äh...unter die Haut.
Ich fühlte mich auf einmal auch so ein bisschen wie schlachtreif, nicht nur wegen des Namens.
Wie war es denn um meine eigene Wirtschaftlichkeit bestellt?
Ich bin ja auch schon länger nicht mehr gewillt, Nachwuchs in die Welt zu setzen. Zwei Kälbchen….äh sorry… Söhnen habe ich vor etlichen Jahren das Leben geschenkt. Entsprechend sind heute meine Milchquellen versiegt. Darüber hatte ich mir nie sonderlich Gedanken gemacht bis zum Gespräch mit meinem Kunden.
Grosse Dankbarkeit überkam mich auf einmal. Welch ein Geschenk ist mir zuteil geworden, als Menschenmilchmama nicht geschlachtet zu werden, wenn der Reproduktionsprozess abgeschlossen ist! Es wird auch nicht von mir erwartet, dass andere Getränke aus mir herausfliessen. Ein kühles Bier oder ein wärmender Glühwein - je nach Jahreszeit - wäre ja vielleicht auch schön. Und nützlich.
Aber ich darf zweckbefreit, ganz ohne Barbetrieb, weiterleben. Ein echtes Plus habe ich da im Gegensatz zum Leben vieler Rindviecher. Die haben es echt staubig.
Mein Mann hat mir explizit bestätigt, keinen Schlachttermin für mich vereinbart zu haben. Er mag mich auch so. Ohne nennenswert wirtschaftlichen Nutztiereffekt. Das finde ich wirklich schön. Denn unwirtschaftlich bin ich schon mal gelegentlich. Spätestens auf der Kreditkartenabrechnung ist das dann schwarz auf weiss nachzulesen.
Ich grüsse heute die Coco im Kuhhimmel sehr herzlich und stosse mit einem Glas Milch und einem sonoren Muuuh auf sie an.
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